INTERVIEW MIT TOM SALLER – AUTOR VON "EIN NEUES BLAU"

Die lange Tradition der KPM Berlin inspiriert zu vielen Geschichten, eine ganz besondere erzählt Tom Saller in seinem zweiten Roman "Ein neues Blau". Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie Fiktion und Wirklichkeit bei ihm zusammenfinden – und haben dabei auch erfahren, welches sein Lieblingsstück aus unserer Manufaktur ist.

Was hat Sie zu Ihrem neuen Buch inspiriert?

Wie so oft, wenn man einen Roman schreibt, ist es der Umweg, der zum Ziel führt. Ursprünglich wollte ich ein Buch über Elly Beinhorn machen, einer ebenfalls starken Frauenfigur des beginnenden 20. Jahrhunderts. Während meiner Recherchen zur Fliegerei stieß ich auf das Service „Hermes“, welches Marguerite Friedlaender für das gerade neu eröffnete Restaurant des Flughafens Halle-Leipzig entworfen hatte. Außerdem sah ich Bilder ihrer berühmten „Flugzeugtasse“, deren Spiegelfläche in der Unterschale ausgeschnitten wird, so dass sie während des Fluges einen sicheren Stand hat. Ich war fasziniert von der Schlichtheit der Entwürfe und ihrem innovativen Ansatz.

 

Was stand zuerst? Die Idee der Geschichte oder das Setting rund um die KPM Berlin?

Ganz sicher die Idee der Geschichte oder besser gesagt, deren Hauptperson Lili Kuhn. Sie hatte ich von Beginn an vor Augen. Ein (halb-)jüdisches Mädchen, das mutterlos aufwächst und von ihrem Vater und zwei Buddies, einem Japaner und einem Rabbiner, aufgezogen wird. Ich beabsichtigte, Lili bis ins hohe Alter, sprich bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zu begleiten, wo sie auf die andere Hauptperson, Anja, 18 Jahre jung, trifft. Das Aufeinandertreffen der beiden Generationen reizte mich.

 

Hatten Sie schon vor Ihrem Buch Berührungspunkte zur KPM Berlin?

Nur indirekt; ich wusste, dass Lili in ihrer Jugend Marguerite Friedlaender begegnen sollte. Als ich einem guten Freund, ebenfalls Schriftsteller, erzählte, der Topos meines neuen Romans sei Porzellan, meinte er, er sei gut bekannt mit dem Direktor eines Berliner Hotels, welches Jörg Woltmann, dem Besitzer der KPM, gehöre. Falls gewünscht, könne er versuchen, einen Kontakt herzustellen.

 

TOM SALLER, geboren 1967, hat Medizin studiert und arbeitet als Psychotherapeut in der Nähe von Köln. Falls er nicht gerade schreibt, spielt er Saxophon in einer Jazzcombo. Foto: Anett Kürten

Die KPM Berlin hat eine sehr alte Geschichte. Wieso spielt Ihr Roman ausgerechnet im frühen 20. Jahrhundert?

Das hängt zum einen mit meinem vorherigen Roman „Wenn Martha tanzt“ zusammen. Er spielt zu einem guten Teil am Bauhaus in Weimar, und dort war mir bereits Marguerite Friedlaender begegnet. Während meiner Recherchen zur KPM stieß ich dann auf Günther von Pechmann, der Ende der Zwanziger zum Direktor der Manufaktur berufen worden war. Beide Persönlichkeiten hatten sich zum Ziel gesetzt, die Aufbruchstimmung der 20er Jahre zu nutzen und die eher traditionellen Entwürfe, denen das Porzellan bis dato unterlag, einer Modernisierung zu unterziehen. Außerdem schwebte von Pechmann die Demokratisierung des Porzellans im Sinne eines hochwertigen Gebrauchsgeschirrs für jedermann vor – spannend, dachte ich.

 

Was hat Sie bei der Recherche zur KPM Berlin und zur damaligen Zeitgeschichte besonders fasziniert?

Besonders die Persönlichkeit Günther von Pechmanns, der es geschafft hat, sich bis Ende der 30er nicht von den Nazis vereinnahmen zu lassen – obwohl der Druck von außen groß und seine Ehefrau, wie Lili, ebenfalls Halbjüdin war. Zu gern hätten die Nazis den „Gröfaz“ in einer Reihe mit Friedrich dem Großen gesehen, aber von Pechmann widerstand, sodass die KPM lange Zeit nicht „auf Linie“ war. Stattdessen betrieb die SS ab Ende der 30er eine eigene Porzellan-Manufaktur in München-Allach.

 

Was haben Sie persönlich aus der Arbeit an diesem Roman gelernt bzw. für sich mitgenommen?

Was für ein phantastischer und immer noch ein klein wenig geheimnisvoller Werkstoff Porzellan ist. Dass er über eine Jahrtausende alte, weit über Europa hinausreichende, komplexe Geschichte verfügt. Und dass für einen Schriftsteller auf metaphorischer Ebene die Analogie zwischen der Porzellanherstellung und der Menschwerdung unwiderstehlich ist: Ein Objekt wird geformt, nimmt Gestalt an. Es wird gebrannt und gewinnt dadurch an Festigkeit. Es erhält eine Glasur und ist plötzlich nicht mehr grau und unansehnlich, sondern glänzt im Licht der Wirklichkeit. Und dann der endgültige Gang durchs Feuer – nur was sich im Feuer bewährt, hat Bestand.

 

Was fasziniert Sie persönlich an der KPM Berlin?

Dass sie der älteste noch existierende Handwerksbetrieb auf Berliner Boden ist. Dass viele Menschen Friedrich den Großen kennen, aber nicht wissen, dass er so eine wundervolle Beziehung zur Porzellanherstellung besitzt. Dass es aus meiner Sicht der KPM gelungen ist, den Sprung ins 21. Jahrhundert zu schaffen, ohne ihre Werte zu verraten. Besonders faszinieren mich die Menschen, die dort arbeiten. Diejenigen, die ich das Vergnügen hatte, kennenlernen zu dürfen, brennen allesamt für die Manufaktur.

 

Haben Sie eine Lieblings-Kollektion oder ein Lieblingsstück?

Marguerite Friedlaenders Vasen „Hallesche Form“, Trude Petris Service „Urbino“ und – neu – die Erzeugnisse der Serie LAB.

 

 

"Ein neues Blau" von Tom Saller erscheint am 30.8.2019 im List Verlag. 

Eine junge Frau geht ihren Weg als Porzellanmalerin der KPM...

Als Lilis Mutter früh stirbt, kümmert sich ihr Vater Jakob rührend um sie. Aber erst als sie Günther von Pechmann kennenlernt, den Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur, findet sie ihre Bestimmung: die Welt des Porzellans. Doch die Nationalsozialisten kommen an die Macht und Lili muss aus Berlin fliehen.

Fünfzig Jahre später lebt Lili wieder in Charlottenburg, zurückgezogen in ihrem Haus mit dem japanischen Garten. Sie spricht nicht viel über sich und ihr bewegtes Leben. Erst die 18-jährige Anja, widerspenstig und quer, kann Lili dazu bewegen, sich ihr zu öffnen. Stück für Stück enthüllt sich Lilis Geschichte, doch auch Anja hat ein Geheimnis. Welche Rolle spielt dabei die schlichte Porzellanschale, die die alte Frau wie einen Schatz hütet?