DAS BESONDERE STÜCK
Landschaften, Vögel, Blumen, opulente Dekore: Diese VICTORIA Vase vereint alle Disziplinen der Porzellanmalerei – und würdigt das handwerkliche Können der Meistermalerinnen und Meistermaler der KPM Berlin. Ein Beitrag aus unserem WEISS Magazin No. 5.
Groß und dickbäuchig, prächtig bemalt, auf einem Sockel thronend, steht sie vor dem Betrachter: Eine außergewöhnliche VICTORIA Vase wird gerade im Flagshipstore der KPM in Berlin ausgestellt. Kaum ein Fleckchen weißes Porzellan ist mehr auf ihr zu sehen. Vor dunklen Fonds, die reich mit Goldornamentik umfasst sind, blüht weißer Rhododendron. Die Rückseite zieren helle Päonien. Auf den Seitenflächen picken zwei Gimpel an den Beeren einer Eberesche, ein Schwanzmeisenpaar sitzt auf Hagebuttenzweigen. Ursprünglich wurde die eiförmige VICTORIA Vase 1860 vom KPM Modellmeister Julius Mantel entworfen. Ihren Namen erhielt sie zu Ehren der Kronprinzessin Victoria von Großbritannien, die zwei Jahre zuvor den späteren Kaiser Friedrich III. von Preußen geheiratet hatte.
Die Ausführung der VICTORIA Vase im KPM Flagshipstore ist im vergangenen Jahr entstanden: als eine Art Leistungsschau der handwerklichen Expertise der KPM Meistermaler:innen. Sämtliche Malereibereiche sollten auf dieser monumentalen Vase und ihrem Sockel gezeigt werden. Über Monate arbeiteten Porzellanmaler:innen, die sich nach der Ausbildung auf ein bestimmtes Gebiet spezialisieren, an den detailreichen Blumen, Landschaften, Dekorationen und Vogelmotiven. Dabei wandten sie besondere Techniken an. Die Blumenkomposition entwarf die Spezialistin für Weichmalerei, welche Ende des 19. Jahrhunderts in der KPM entwickelt wurde. Durch einen sanften Farbverlauf und virtuosen Farbauftrag wird die Fotografie der damaligen Zeit nachgeahmt. „Was auf alten Blumenfotos in unserem Archiv unscharf aussieht, wurde diffuser gemalt, sodass die Blüten im Vordergrund besonders schön hervortreten“, erklärt Claudia Tetzlaff, Leiterin des KPM Archivs und Malereiausbilderin. Beeinflusst vom Impressionismus, sollten die Blumen besonders plastisch und wie in Licht getaucht erscheinen. Eine spezielle Wirkung entfalten die hellen Blüten auf dem dunklen Fond. Der einzigartige Grünton ließ sich nur durch langjähriges und aufwendiges Experimentieren, schrittweise Farbüberlagerungen und mehrfache Zwischenbrände erzielen.
Die Bemalung des Sockels, der ihr eine skulpturale Ausstrahlung verleiht, wurde auf die Farben der Vase (Dunkeltürkis, Luftblau und Braunrot) abgestimmt. Die Bildfelder sind von einer Vergoldung umrahmt und zeigen Farb- und Goldstaffagen, polychrome Malerei sowie Landschaftsszenen. Auch wenn sich der Betrachter unweigerlich fragt, welche Orte abgebildet sind: „Die Motive sind der Fantasie in Anlehnung an die Romantik geschuldet“, erklärt Claudia Tetzlaff.
Momentan ist diese VICTORIA Vase das größte Vasenmodell auf dem Gelände der Königlichen Porzellan-Manufaktur in Berlin. Etwas über 70 Zentimeter misst sie – und das ohne Sockel. Schon immer war die VICTORIA Vase ein Kunstwerk, mit dem sich die KPM Berlin geschmückt hat. „Vor allem auf den Weltausstellungen wurde sie gern gezeigt, um die Könnerschaft der manuellen Fertigung unter Beweis zu stellen“, so Claudia Tetzlaff. Eine Herausforderung war die Größe. Denn: Je höher die Vase, desto schwieriger der Brand. Das größte Exemplar maß 2,08 Meter. Auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 präsentierte die KPM Berlin zudem eine Vase mit plastischen Blüten und riesigen Putten, die darauf herumzuturnen schienen. „Sie war typisch für den Historismus. In dieser Zeit sollte alles gigantisch sein“, erzählt die Archivarin.
Solch große Vasen haben eine besondere Wirkung auf den Betrachter. Steht man vor der VICTORIA Vase und tritt ein Stück zurück, verbinden sich die einzelnen Dekore miteinander. Aus der Nähe kann man die porzellanmalerische Hochleistung bis ins kleinste Detail bewundern – und entdeckt versteckte filigrane Goldverzierungen, die Person am Flussufer oder eine vom Vogel angepickte Beere – ein Schauspiel ohnegleichen.
Bilder: Gene Glover & KPM Berlin