Julia Beliaeva vereint digitale Kunst und traditionelles Handwerk

Mithilfe von digital kreierten Figuren überträgt die ukrainische Künstlerin Julia Beliaeva in der KPM Berlin Meistermalerei Motive aus der klassischen Mythologie und ukrainischen Volksmärchen auf die Bauhaus-Vase HALLE von Marguerite Friedlander-Wildenhain. Im Interview verrät Sie alles über den Prozess und das Zusammenspiel moderner Technologien und traditioneller Porzellanmalerei… 

Julia Beliaeva, die eine blaue Vase in einem Lagerraum hält.

Was verbinden Sie persönlich mit Porzellan?

Das Sammeln von Porzellan war in meiner Heimat, der Ukraine, für viele Menschen ganz selbstverständlich. Schon in meiner Kindheit war es ein alltäglicher Begleiter und wurde zu einem festen Bestandteil meiner Erinnerungen. Mit der Zeit, besonders auf meinen Reisen, wurde mir bewusst, dass Porzellan auch in anderen Kulturen eine ähnliche Rolle spielt.  

Porzellan war für mich lange ein Symbol von Heimat und Vertrautheit. Doch im Laufe meines Lebens stieß ich auf kunstvollere, aufwändiger gefertigte Stücke und begann, Porzellan auch als Luxusgut zu begreifen.

Als Künstlerin hinterfrage ich dieses Bild. Ich durchbreche die Vorstellung von Porzellan als Sinnbild für Geborgenheit. Stattdessen konfrontiere ich die Betrachter mit Irritation und Unruhe.  

Welchen Stellenwert und welche Tradition hat Porzellan in der Ukraine?

Das ist eine eher traurige Geschichte. Ende der 1990er Jahren mussten die meisten Porzellanmanufakturen in der Ukraine ihre Tore schließen. Nur die Porzellanfabrik in Kyjiw blieb erhalten, allerdings in stark reduzierter Form. Heute arbeite ich eng mit genau dieser Manufaktur zusammen.

Übrigens wurde die Skulptur „Ballerina Lenotschka“ der bekannten ukrainischen Porzellankünstlerin Oksana Zhnikrup später von Jeff Koons neu interpretiert: Porcelain Pop Art by Oksana Zhnikrup

Julia Belieava in der KPM Meistermalerei.

Die Künstlerin Julia Beliaeva in der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin.

Konnten Sie in der Meistermalerei der KPM Berlin etwas Neues lernen im Umgang mit Porzellan?

Im Rahmen meiner Residence in der Mastermalerei habe ich mich erstmals intensiv mit der Überglasurmalerei auseinandergesetzt, zuvor arbeitete ich ausschließlich mit der Unterglasurtechnik. Die Überglasurmalerei ist ein sehr spannender Prozess und bereitet mir deutlich mehr Freude als die Unterglasurtechnik. Besonders spannend war es, bislang unbekannte Tricks zu erlernen und mich dank der Unterstützung der erfahrenen Meistermalerinnen und Meistermaler in der Manufaktur mit der Airbrush-Technik vertraut zu machen.

Sie haben die Bauhaus-Vase HALLE von Marguerite Friedlander-Wildenhain als Grundlage Ihrer Kollektion ausgesucht. Welche Bedeutung hat das Bauhaus für Ihre Kunst?

Mich hat schon immer beeindruckt, wie das Bauhaus Konstruktivismus und Ästhetik miteinander vereint. Die Halle-Vase ist in ihrer Gestaltung in Bezug auf die Interaktion mit Wasser und Blumen so durchdacht, dass ich bis heute keine ergonomisch besser gestaltete Vase kenne. Zudem gefällt mir, wie das Porzellan der Bauhaus-Zeit dem reinen Luxus den Rücken kehrte. Stattdessen rückte man die Funktionalität und den praktischen Nutzen in den Mittelpunkt, ganz im Sinne des Menschen und seiner alltäglichen Bedürfnisse.

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Meine Flugzeugtasse Konfiguration
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Zwei Personen, die in einer Werkstatt an Töpferarbeiten arbeiten.

Sie setzen sich in Ihrer künstlerischen Arbeit mit neuen Technologien auseinander. Wie war es für Sie, sich in der Zusammenarbeit mit KPM Berlin dem traditionellen Handwerk zu widmen?

Ich liebe Herausforderungen und genau das war eine. In Kyjiw habe ich nicht die Möglichkeit, Vasen oder Fliesen zu bemalen, da sich die dortige Fabrik ausschließlich auf Skulpturen spezialisiert hat. Die Arbeit war intensiv und der Zeitrahmen eng, eine Kombination, die den Prozess für mich besonders reizvoll gemacht hat.

Sie haben für Ihre Kollektion Preußischblau eingesetzt und sie „Feel Blue“ genannt. Was steckt dahinter?

Blau ist für mich eine kosmische Farbe, die Farbe der Transzendenz. Die Menschheit hat im Lauf der Geschichte viele Krisen durchlebt. Krisen wie den aktuellen Krieg in meiner Heimat, der Ukraine, von dem mein Land und ich stark betroffen sind. In solchen Zeiten ist es von existenzieller Bedeutung die eigene psychische Stabilität zu wahren.

Für mich symbolisiert dieser spezielle Blauton innere Stabilität und Tiefe. Ich praktiziere transzendentale Meditation, und manchmal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich genau diese Farbe.

Sie haben die Vasen mit Figuren aus der klassischen Mythologie und aus ukrainischen Volksmärchen bemalt. Welche Geschichten erzählen sie?

Diese Vasen sind eine Fortsetzung meiner ersten Einzelausstellung in der König Galerie. Auf ihnen habe ich all meine Code-Skulpturen dargestellt, die sinnbildlich für die Realität in meinem Heimatland stehen.

Die Serie handelt von Ungerechtigkeit, Wut, Opferbereitschaft und Angst. Sie greift vertraute Motive aus Mythen und Volksmärchen auf und thematisiert die Schrecken im heutigen Alltag der Ukraine.

Ich erzähle unbequeme Wahrheiten auf die wohl angenehmste Art und Weise. Die feine Zurückhaltung von Porzellanskulpturen übt eine besondere Anziehungskraft aus: Diese Objekte zwingen einem die Wahrheit nicht auf, sondern ziehen einen sanft in sie hinein. Sie laden dazu ein, hinzuhören – auch dann, wenn man es vielleicht gar nicht möchte.