ICH OHNE ICH
Erwin Wurm ist der bedeutendste österreichische Künstler unserer Zeit. Für die KPM hat er nun einen Torso kreiert, in dem ein bisschen Donald Duck steckt, ein bisschen er selbst und vor allem: jede Menge Doppeldeutigkeit. Im Interview erklärt er KPM-Mitarbeiterin Sally Fuls, wie all das zusammengeht.
Die kopflose Vasenskulptur trägt den Namen "Onkel" und ist in Zusammenarbeit mit der Galerie König entstanden (Fotos: Roman März)
KPM: Herr Wurm, sind Sie ein Blumenmensch?
Erwin Wurm: Ja, wer ist das nicht? Ich mag Blumen, wir haben eine große Blumenwiese hier vor der Tür. Das Meiste lassen wir stehen, aber ab und an wird etwas geschnitten und dann auch in die Vase gestellt.
Sollte es deshalb eine Vase für die KPM sein? Was steckt hinter der Idee zum Objekt?
Das Objekt zeigt ein Kleidungsstück, das ohne Menschen auskommt. Obwohl es ja so aussieht, als ob es vom Menschen getragen würde, als steckte da doch ein Körper drin. Es geht also um dieses Spiel, das ich schon lange treibe: die doppelte Haut, die Volumen darstellt, Masse, Inhalt, Gewicht. All das spielt in meiner Arbeit immer wieder eine Rolle. Schaut man sich klassische antike Skulpturen an, die schönen Jünglinge und Frauen, sieht man sehr massive ästhetische Körper, ob Mensch oder Pferd. Die sind aber von einer sehr dünnen Bronzehaut geformt. Die Haut evoziert Masse und Volumen, die Wahrheit ist aber, dass es nur eine dünne Schicht Material gibt.
Der Künstler Erwin Wurm (Foto: Michael Wurm)
Und warum ein männlicher Torso?
Die Idee stammt aus einer Reihe, in der ich mich genau mit diesem Thema, also Masse, Oberfläche und Dreidimensionalität, beschäftigt habe. Und irgendwann lag es dann nahe, mich quasi selbst zu nehmen. Denn das bin ja auch ich. Ich ohne Inhalt, ich ohne Ich. Dazu kommt dann der berühmte Satz von Gottfried Keller “Kleider machen Leute”. Man definiert sich also mit Kleidung, stellt sich dar und verweist auf seinen sozialen Stand. Oder andersrum: man tarnt seinen sozialen Stand! Da gibt es unendlich viel Spiel.
Und wenn Sie sagen, das sind auch Sie - warum heißt das Objekt dann Onkel und nicht Erwin?
(Lacht) Na es ist kein Selbstportrait. Wäre es eines, würde er auch Erwin heißen. Der Onkel ist ein geschlechtsloses Wesen. Der Vater hat ein Geschlecht und die Mutter auch. Und ich bin ja Midcentury im letzten Jahrhundert geboren, und bin also mit Donald Duck aufgewachsen. Und Donald Duck war immer nur der geschlechtslose Onkel. Und das war auf eine Art das Vorbild, beziehungsweise ein Spiel mit der geschlechtslosen Figur. Dieser Onkel hier verweist auf keine Persönlichkeit, es gibt keine Individualität. Es ist ein Bild von einem bestimmten Anzug, den bestimmte Personen in einem bestimmten Lebensabschnitt tragen. Und der Kopf wird durch Blumen dargestellt.
Perspektivisch soll es ja auch ein weibliches Pendant geben.
Die gibt es schon, zumindest als Entwurf bei mir.
Und heißt das Pendant dann Tante?
(Lacht) Na. Nein. Es gibt keine Tante. Das wäre dann eher ein weiblicher Vorname, oder vielleicht auch “Avatar”. Denn es ist ja in gewisser Weise ein Avatar, also eine bestimmte Person, die durch ein Kleidungsstück dargestellt wird, wodurch man auf einen Typus schließen kann.
Können Sie den Typus des Onkels beschreiben, was ist das für ein Mann?
Ich beschreibe meine Arbeiten nicht selbst. Ich produziere etwas und stelle das zur Diskussion. Die Interpretation bleibt offen. Wenn Sie sich das Objekt anschauen, entstehen bei Ihnen Ihre eigenen Gedanken und Perspektiven.
Also dann: Ich finde kurios, dass ein Onkel für Sie etwas Geschlechtsloses ist, weil ich es in der Tat gar nicht so empfinde. Ich finde es fast ein wenig anrüchig.
Sie sind natürlich kulturell geprägt. Und genau das unterstreicht meine These, weil sie die Arbeit selbst wirken lassen. Jeder kommt mit seiner eigenen Geschichte und Sozialisierung. Und jeder sieht es anders. Sie sehen den bösen Onkel, der ein Geschlecht hat. Ich aber nicht.
Inwieweit ist dafür der Werkstoff hier wichtig gewesen? Inwieweit spielt Porzellan eine Rolle für das Objekt an sich?
Porzellan bringt eine Geschichte mit, Erinnerungen und Emotionen. Natürlich hatten meine Eltern Service. Sonntags wurde Kaffee daraus getrunken und davon gegessen, es war das gute Geschirr, das schöne Geschirr, mit dem man vorsichtig war und das man nur an Feiertagen oder Sonntagen verwendet hat. Das hat eine soziale Konnotation: es geht um eine gewisse Gesellschaft, die nicht in Reichtum schwelgt, weswegen dieses Porzellan dann nicht jeden Tag genutzt wird, sondern das etwas Besonderes ist und eine Feierlichkeit markiert. Und so war es bei uns, mein Vater war Polizist und wir hatten nicht viel Geld. Aber diese Dinge gab es und es wurde sehr sehr sparsam mit ihnen umgegangen.
Und mussten beziehungsweise durften Sie als Kind dann das teure Geschirr abwaschen sonntags? Oder hat man das vorsichtshalber nicht in Kinderhände gegeben?
Wir mussten immer mithelfen, meistens haben wir abgetrocknet. Aber mit dem teuren Porzellan… da wurde natürlich aufgepasst.
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